Sportmedizin
Sportmedizin ist ein medizinisches Fachgebiet, das in Theorie und Praxis dem Zusammenwirken von Sport und Medizin dienlich ist.
Ziel der Sportmedizin ist es, Menschen in ihrem präventiven Handeln, im Speziellen durch Bewegung, Übung, Training und Sport, gerecht zu werden. Dabei sind die ethischen Prinzipien des Wohltuns und den Nichtschädigens anleitend. Primär soll Krankheit vermieden und bekämpft werden.
Mittel und Methoden der Sportmedizin sind vorrangig etablierte naturwissenschaftliche und medizinische Verfahren. Die sportmedizinische Leistungsdiagnostik und Steuerung der Bewegungstherapie haben einen besonderen Stellenwert. Die Sportmedizin entstammt dabei dem Hygienegedanken der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und damit dem sich zunehmend durchsetzenden pathogenetischen Paradigma. Krankheiten haben demgemäß biologische Ursachen, die es zu erkennen, denen es vorzubeugen und die es zu bekämpfen gilt. Die weitere Entwicklung eines zunehmenden Ressourcen- und Bedürfnisdenkens, wie es beispielsweise in dem von Aaron Antonovsky entwickelten Salutogenesekonzept zum Ausdruck kommt, sind nicht spurlos an der Sportmedizin vorüber gegangen. Dennoch: Im Schwerpunkt verwendet die Sportmedizin medizinische und naturwissenschaftlichen Methoden, um den Menschen in ihrem präventiven und therapeutischen Handeln, im Speziellen durch Bewegung, Übung, Training und Sport, gerecht zu werden.
Krankheitsprävention durch körperliche Aktivität bei Gesunden und Kranken ist der zentrale sportmedizinische Beitrag zur Gesundheitsförderung.
Die Fachvertretung der Sportmedizin in Deutschland ist die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und PräventionExterner Link (DGSP), die aus den beiden Deutschen Sportärzteverbänden hervorging, um gerade das krankheitspräventive Anliegen der deutschen Sportärzteschaft sichtbarer zu machen. Die DGSP ist Berufsverband und Wissenschaftsgesellschaft zugleich. Die Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen werden in der DGSP durch den Wissenschaftsrat vertreten. Die meisten Mitglieder der DGSP und auch der Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen sind Ärzte. Der Wissenschaftsrat wird durch das Wissenschaftskollegium, das aus ca. 80 Mitgliedern besteht, gewählt.
Das Selbstverständnis der Sportmedizin als medizinisches Fachgebiet, ihre Ziele und Mittel finden sich in der Definition der Sportmedizin wieder. Sie stammt aus dem Jahr 1977 und wurde unter der Leitung von Wildor Hollmann als Präsident der "Fédération Internationale de Médicine Sportive" zum Ausdruck und entspricht der deutschen Definition aus dem Jahre 1958:
"Sportmedizin beinhaltet diejenige theoretische und praktische Medizin, welche den Einfluss von Bewegung, Training und Sport sowie dem von Bewegungsmangel auf den gesunden und kranken Menschen jeder Altersstufen untersucht, um die Befunde der Prävention, Therapie und Rehabilitation sowie dem Sportler dienlich zu machen."
Gesundheitsförderung
Gesundheitsförderung ist dem Menschen dienlich. Gesundheitsförderung soll dem Menschen gerecht werden. Eine Zugehörigkeit zu einem wissenschaftlichen Fach oder einer Fachdisziplin ist nicht von vorneherein gegeben. Gesundheitsförderung wird gleichwohl aus guten je spezifischen Gründen und Entwicklungen heraus in unterschiedlichen, auch universitären Fächern und Fachgebieten in Lehre und Forschung betrieben.
Gesundheitsförderung kann wegen ihres Umgangs mit Gesundheit und Krankheit und damit existentiellen Lebensäußerungen und Bedürfnissen des Menschen als wichtiger Teil der Lebensführung angesehen werden. Da der Umgang mit dem Menschsein konstitutiver Bestandteil des Denkens und Handelns der Gesundheitsförderung ist, findet Gesundheitsförderung in Politik, Wissenschaft, Bildung, Wirtschaft, Religion, Philosophie, Kunst, Musik, Sport und Kultur ihre Wissens- und Handlungsfelder.
Gesundheitsförderung hat das Ziel, Gesundheit in dem jeweilig geprägten Verständnis zu fördern und Krankheit in dem ebenfalls jeweilig geprägten Verständnis zu vermeiden oder zu bekämpfen. Der Begriff Gesundheit markiert das Zentrum medizinisch-wissenschaftlichen Handelns und Forschens. Es geht dabei nicht nur um eine deskriptiv-objektive Erfassung, der Gesundheitsbegriff ist vielmehr zugleich ein normativ-praktischer Begriff. Gesundheit ist ein hohes Gut, das Menschen erstreben; Gesundheit ist soziale Norm, insofern sie über unsere Leistungsfähigkeit in der Gesellschaft entscheidet. Das Verständnis von Gesundheit hat bedeutenden Einfluss darauf, welche Mittel für ihre Wiederherstellung, für ihren Erhalt und ihre Förderung als angemessen angesehen werden.
Gesundheitsförderung soll dem gesunden und kranken Menschen gerecht werden. In anderen Worten: Mit gesundem Menschsein und krankem Menschsein soll angemessen umgegangen werden. Entscheidungen in der Gesundheitsförderung sollen ethisch begründet und nachvollziehbar sein, eine erkennbare anthropologische Grundlegung haben. Gerade die anthropologische Grundlegung kann durchaus unterschiedliche Perspektiven beinhalten und soll in den Dialog mit Bezug auf den Ertrag in der Gesundheitsförderung gebracht werden. Die Menschenwürde und die damit verbunden Rechte und Pflichten des Menschen spielen in dem hier dargelegten Verständnis eine zentrale Rolle. Menschenwürde kommt in der hier verwendeten Formulierung Menschsein dürfen zum Ausdruck. Menschsein dürfen beinhaltet dabei zugleich den Charakter der Kommunikation, des Dialogs und der Wahrnehmung eines Gegenüber. Die Instandsetzung des Menschsein dürfen ist anthropologisch begründet. Da anthropologische Begründungen unterschiedliche Perspektiven und Grundannahmen beinhalten können, ist hiermit die Einladung verbunden, in den interdisziplinären Dialog zu kommen. Ziel dabei ist es, den Ertrag einer dem Menschen gerecht werdenden Gesundheitsförderung sichtbar zu machen und in Dienst zu stellen.
Gesundheitsförderung bedient sich der Gesamtheit des Wissens über Gesundheit und Krankheit im Zusammenhang mit den fachspezifischen Erkenntnissen. Dabei sind die Methoden des gesundheitsförderlichen Handelns und Anleitens zur angemessenen Lebensführung wesentlicher Bestandteil von Gesundheitsförderung. In der Handlungsorientierung ist der Rückbezug auf das Menschsein als einzelnes Subjekt und im Zusammenspiel von Gruppen oder der Gesamtheit der Menschen konstitutiv wirksam.
Gesundheitsförderung erfährt ihre Instandsetzung durch die Verantwortung des Menschen für das eigene Leben, für sein Menschsein. Verantwortung kann hierbei auf unterschiedlichen Ebenen wie der personalen und der gesellschaftlichen Ebene verstanden werden, mit unterschiedlichen Zielrichtungen wie sich selbst und andere, auf einen (Handlungs-)Prozess oder (Handlungs-)Ergebnisse, auch mit mehr aktiven, produktiven oder mehr passiven, empfangenden Momenten. In dem spezifischen Zusammenhang mit Gesundheitsförderung kann Verantwortung Antwort auf den vorausgegangenen und in Empfang genommenen Auftrag bedeuten und auch die willentliche und bejahende Übernahme des Auftrags, um diesen dann auszugestalten, im Speziellen Gesundheit zu fördern.
Dass Gesundheit sein soll und damit ein normativer Anspruch verbunden ist, kann anthropologisch und ethisch begründet werden. Die kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung kann eine moralische Verpflichtung hervorbringen, die die Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben und das Leben anderer Menschen bedeutet. Zur Verantwortung für das Leben verpflichtet zu sein bedeutet auch, im Rahmen der Möglichkeiten für die Wiederherstellung, den Erhalt und die Förderung von Gesundheit zu sorgen. Insofern zieht das "Sollen" von Gesundheit und Gesundheitsförderung zugleich auch ein "Können" oder "Nicht-Können" nach sich. Die Angewiesenheit auf Ressourcen, ihre Verfügbarkeit und die Bereitschaft der Inanspruchnahme sind wesentliche Bestimmungsfaktoren dafür, ob Gesundheitsförderung angegangen und womöglich gelingen kann.
Damit sind zwei weitere wesentliche Komponenten der Gesundheitsförderung benannt: Zum Einen der Wille zu Gesundheit und damit die Bereitschaft, Gesundheit fördern zu wollen, und zum Anderen die Möglichkeit des Gelingens oder auch Nicht-Gelingens von Gesundheitsförderung. Die Möglichkeit des Scheiterns der Bemühungen um Gesundheit ist a priori Teil der Gesundheitsförderung. Wille und Einsatz um ein Gelingen von gesundheitsfördernden Maßnahmen schließt das Scheitern nicht aus, sondern bezieht es von vorneherein in die Empfehlungen und Maßnahmen einer gesunden Lebensführung mit ein.
Gesundheitsförderung muss nicht gelingen, Gesundheitsförderung sollte gewollt werden. Dazu gehört auch, dass Gesundheitsförderung durch die Verfügbarkeit von Ressourcen ermöglicht wird, also Menschen ihre eigene Gesundheit und diejenige anderer Menschen fördern können.
Letztlich in dieser kurzen Aufzählung und zugleich als Vorzeichen vorweg gilt: Gesundheit darf sein, Bemühungen um die Gesundheit dürfen sein. Ebenso wie es sein darf, dass Bemühungen um Gesundheit gelingen oder scheitern, ausbleibende Heilung, Sterben und Tod eingeschlossen sind. In einer Gesundheitsförderung mit dem Vorzeichen Menschsein dürfen ist a priori die Verhältnissetzung zu und das Zulassen von Sterben und Tod mit berücksichtigt. Der Mensch wird als ein angewiesener, unfertiger und werdender Mensch betrachtet, der in seinen Ressourcen begrenzt, bedürftig, halt angewiesen ist. Darin ist er zugleich im Anerkennen dieser Angewiesenheit auch ein gestaltender Mensch. Die Gestaltung kommt darin zum Ausdruck, dass in der Gesundheitsförderung Gesundheit gefördert und Krankheit vermieden bzw. bekämpft werden soll. Gesundheit und Krankheit stehen darin in einem - durchaus unterschiedlich denkbaren - Verhältnis zueinander.
Beides, Gesundheit und Krankheit sowie ihr Verhältnis zueinander sind anthropologische Äußerungen des Menschseins. Gesundes Menschsein und krankes Menschsein können miteinander einhergehen und dürfen miteinander hergehen. Gesundheitsförderung in dem vorgenannten Sinn hat demnach das Vorzeichen Menschsein dürfen, einem Menschsein dürfen als gesunder Mensch und kranker Mensch. Dieses Menschsein dürfensoll - als Pflicht verstanden, in die es nach Möglichkeit einzuwilligen gilt - sein, wie auch Gesundheit sein soll und Krankheit nicht sein soll, ohne dass daraus ein unbarmherziges und zwanghaftes "Müssen" von Gesundheit entsteht, ein Zwang, der die Übernahme von Verantwortung behindert und eine Überforderung des Menschen mit sich bringt.
Indem die Norm, das Sollen von Gesundheit, durch den einzelnen Menschen und die Gemeinschaft der Menschen gewollt wird, entsteht aus der Pflicht zu Gesundheit die Übernahme der Verantwortung für die Gesundheit - als Individuum und als Gesellschaft. Als Schutz vor einer Überladung an Verantwortung durch Verpflichtung und Ergebniserwartung i.S. einer zwanghaft zum Erfolg verurteilten Gesundheitsförderung dient aus dem Menschsein dürfen: Der Mensch darf gesund und krank sein.
Das Menschsein dürfen ist als Vorzeichen der Gesundheitsförderung ein entscheidender Schutzfaktor vor einer Überlastung an Verantwortung für das eigene Leben und das der anderen Menschen. Es ist zugleich aber auch die Instandsetzung einer Pflicht zur Gesundheitsförderung mit Augenmaß und dem Potential, dem Menschen gerecht zu werden.
Ziel des Lehrstuhls
Sportmedizin und Gesundheitsförderung
Sportmedizin kann als medizinische Fachdisziplin mit seinen naturwissenschaftlich-medizinischen Methoden und mit dem Anspruch, gerade in der Krankheitsprävention tätig zu sein, der Gesundheitsförderung wichtige Argumente und Hilfestellungen geben. Umgekehrt ist Gesundheitsförderung hilfreich in der Lage, das der Sportmedizin inhärente pathogenetische Paradigma neu zu gestalten und angemessen zu erweitern.
Zu erwarten ist, dass sowohl für die Sportmedizin als auch die Gesundheitsförderung auf der Basis einer gegenseitigen Verschränkung neue Ansatzpunkte für die jeweiligen und im Zweifelsfall gemeinschaftlichen Handlungskonzepte und praktischen Anwendungen entwickelt und zur Anwendung gebracht werden können.
Damit ist das Ziel des Lehrstuhls für Sportmedizin und Gesundheitsförderung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena genannt:
Unter dem Vorzeichen Menschsein dürfen sollen Sportmedizin und Gesundheitsförderung in den Dienst der theoretischen Begründung und anwendungsorientierten (Weiter-) Entwicklung einer dem Menschen gerecht werdenden gesunden Lebensführung genommen werden.
Standpunkt
Physiologische und sportmedizinische Grundlagen der Gesundheitsförderung in der Gesundheitssprechstunde
Holger Gabriel
In: Wozu gesund? Prävention als Ideal (Hrsg: R. Albrecht, N. Knoepffler, W.H. Eberbach), Kritisches Jahrbuch der Philosophie, K&N Verlag, Band 16, 2015, S. 39-55.
Zusammenfassung
"Was unter Gesundheitsförderung zu verstehen ist, hängt vom Verständnis von Gesundheit und Krankheit ab. Das medizinische System versucht, insbesondere die körperliche und (patho-)physiologische Dimension aus objektiver und im Wesentlichen naturwissenschaftlicher Perspektive Krankheit zu beschreiben. Um medizinische Entscheidungen zu ermöglichen, ist es meines Erachtens erforderlich, dem Verständnis von Gesundheit und Krankheit dichotome Modelle zugrunde zu legen. Dies entbindet Ärzte nicht davon, die subjektive und kommunikative Perspektive des Patienten einzubinden. Die Gefahr, Krankheiten und nicht kranke Menschen zu behandeln, ist eine reale Gefahr, das eigentliche ärztliche Anliegen zu verfehlen: Kranken Menschen zu helfen.
Gesundheitsförderung über das Medizinsystem hinaus erfordert die Verwendung komplexer Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit. Im eigenen Verständnis des Autors werden Gesundheit und Krankheit als Weisen des Lebens gesehen. Das orthogonale und mehrdimensionale Gesundheitsmodell nach Rieger liegt der Gestaltung einer sportmedizinischen Gesundheitssprechstunde zugrunde. Das vordergründige Ziel des Erhalts, der Förderung, Wiederherstellung oder angemessener Begleitung des unvermeidlichen Abbaus körperlicher Funktionsfähigkeit wird verbunden mit den seelischen und sozialen Dimensionen. Die Integration in das konkrete Leben der gesunden und kranken Menschen soll die Verschränkung der Befähigung zu sowohl Funktions- als auch Umgangsfähigkeit beinhalten.
Die physiologischen Grundlagen des Lebens unterliegen lebenslang einem Wandel. Die physiologischen Ressourcen sind begrenzt, zugleich sind sie jedoch gestaltbar. Bewegung, Übung, Training und Sport sind Gestaltungsmöglichkeiten der physiologischen Gegebenheiten in jeglichem Alter und mit jeglicher Leistungsfähigkeit. Bewegung und Lebensführung hängen wechselseitig zusammen. Körperliche Aktivität und Leistungsfähigkeit ermöglichen die Gestaltung der individuellen Lebensführung. Im umgekehrter Richtung beeinflusst die individuelle Lebensführung sowohl die körperliche Aktivität als auch die körperliche Leistungsfähigkeit. Das Zusammenspiel in beiden Richtungen ermöglicht die Reflexion über den Umgang und die Umgangsfähigkeit mit den eigenen körperlichen, seelischen und sozialen Funktionen vor dem Hintergrund eigener Menschenbilder, Weltanschauungen und Wertevorstellungen. Daraus mag das eigentliche Ziel der Betrachtungen und Bemühungen um Gesundheit liegen: Die selbstverantwortete Lebensführung, eine Lebensführung, die den Menschen Mensch sein lässt und damit Gesundheit Gesundheit und Krankheit Krankheit sein lässt. Offen bleibt dabei die Frage, wem oder was gegenüber die Verantwortung besteht: Einer selbstgewählten letzten Wirklichkeit oder einer dem Menschen von außen unhintergehbar vorgegebene letzte Wirklichkeit. Die Beantwortung dieser Frage wird ohne eine anthropologische Grundlegung, mit oder ohne Bezug auf eine Philosophie, mit oder ohne Bezug auf eine Theologie nicht gelingen können.
Richard Siebecks Frage `Gesundheit, wozu?´ und Karl Barths Forderung `Mens sana in corpore sano - in societate sana´ weisen darauf hin, dass in Gesundheitsfragen Verantwortung nicht nur sich selbst gegenüber besteht, sondern die Selbstverantwortung eine soziale Dimension beinhaltet. Indem der Mensch über den Tellerrand seines eigenen Ichs hinausschaut und sich selbst übersteigt, also transzendiert, mag die selbstverantwortete Lebensführung als Antwort auf das ihm von anderen Vorgegebene und Ermöglichte erkennen und die Übernahme von Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere ermöglichen. In einer verantwortungsvollen Gemeinschaft darf er sich dann auch sicher sein, dass nicht nur er die Verantwortung für sich und die anderen erkennt, sondern dass er auch als solcher erkannt wird, den andere befähigen und für den andere - gerade in Zeiten von Krankheit, Schwäche, Hilfsbedürftigkeit und Sterben - im Zweifels- und Notfall Verantwortung menschenangemessen übernehmen wollen.
Victor von Weizsäcker plädiert in seiner medizinischen Anthropologie für einen Gesundheitsbegriff, wonach gelte: `gesund sein heiße nicht, normal sein, sondern es heiße: sich in der Zeit verändern, wachsen, reifen, sterben können.´1 Und auch hier bleibt die Frage offen, wohin der Mensch als homo temporalis in seinen Gesundheitsbemühungen, seinem Altern und seinem Sterben unterwegs ist: Einer durch den Menschen selbstbestimmten (Un-)Endlichkeit entgegen oder auf eine futura forma hin, eine Zielbestimmung, die dem menschlichen Zugriff entzogenen bleibt.2 "
-------------------------------------------1) Victor von Weizsäcker: Medizinische Anthropologie - Ärztliche Fragen. GS 5, 294; siehe in: Hans-Martin Rieger: Der ewig unfertige Mensch. BThZ, 24(2), 2007, S. 319-341).
2) These 28 von Martin Luthers Heidelberger Disputation (1518), StA I, 212, 8-17; siehe in: Hans-Martin Rieger: Der ewig unfertige Mensch. BThZ, 24(2), 2007, S. 319-341).
Gesundheit
> Gesundheit, wozu?
"Gesundheit ist nicht erfüllt ohne die Frage: Gesundheit, wozu?
Wir leben ja nicht, um gesund zu sein,
sondern wir sind gesund, wollen gesund sein,
um zu leben und zu wirken."
Richard Siebeck, *1883, 1965,Internist der "Heidelberger Schule" und Schüler von Ludolf von Krehl;
In: Medizin in Bewegung, Thieme, 1949, S. 486
> Gesundheit, wer ist verantwortlich?
"Nicht bloß der Arzt muss bereit sein, das Erforderliche zu leisten,
sondern auch der Kranke selbst und seine Pfleger
und die äußeren Lebensbedingungen."
Hippokrates, *um 460 v. Chr., um 370 c. Chr., Griechischer Arzt
> Gesundheit: Verantwortung für mich und die Anderen.
"Mens sana in corpore sano - in societate sana.
Und diese Erweiterung (Red.: in societate sana) kann nicht nur bedeuten,
dass dafür gesorgtsein muss, dass die Wohltaten der
Hygiene, des Sportes und der Medizin allen oder doch möglichst Vielen zugute kommen.
Sie muss bedeuten, dass eben die allgemeinen Lebensbedingungen
Aller oder doch möglichst Vieler so gestaltet werden,
dass sie als solche für deren Gesundheit nicht nur keine negative,
sondern die positive, präventive Wirkung bekommen, die sie ja für viele
Bevorzugtere, wenn auch in verschiedenem Maß, faktisch schon haben.
... Wo die Einen krank werden müssen, da können auch die Anderen
nicht mit gutem Gewissen gesund sein wollen."
Karl Barth,*1886, 1968, evangelischer Theologe, Kirchliche Dogmatik III/4,
§55 Freiheit zum Leben, Evangelischer Verlag, Zollikon-Zürich, 1951, S. 413